Donnerstag, 19. April 2007

Rotes Mäntelchen mit braunen Flecken

Hand aufs Herz: In der DDR war doch nicht alles schlecht! Es gab eine vernünftige Kinderbetreuung, Frauen konnten arbeiten gehen. Und wenn es darauf ankam, half man sich gegenseitig. Und sollte das nicht zählen, dann bleibt immerhin eines: Die Deutsche Demokratische Republik war das bessere, das antifaschistische Deutschland. Das Deutschland, das die richtigen Lehren aus der braunen Vergangenheit gezogen hatte. Hier wurden Nazitäter, im Gegensatz zur Bundesrepublik, vor Gericht gestellt. Rechtsradikalismus, Antisemitismus? Das gab es in der DDR nicht!
So hört man es immer wieder. Aber der real existierende moralische Wohlfühlstaat gehört in die ideologische Märchenwelt. Denn es gab sie dort, die Rechtsextremen, die Judenhasser, die Alt- und Neunazis. Von ganz oben verordnet, wurde das alles verdrängt, bewusst totgeschwiegen. Frei nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und die Infiltration der Köpfe durch Schule, Werkhalle, Partei und Fernsehen wirkt bis heute. Das ist keine neue Erkenntnis, sorgt aber immer wieder für ungläubiges Staunen. Diese Erfahrung haben gerade 76 Jugendliche aus acht ostdeutschen Städten gemacht. Sie begaben sich 2006 in Sachen Antisemitismus in der DDR auf Spurensuche und stießen oft auf Unwissen und Unverständnis. Unter Federführung der Amadeu-Antonio-Stiftung gegen Rassismus haben die jungen Leute, gestützt auf ihre Fundstücke und Erlebnisse, jetzt eine Wanderausstellung konzipiert, die seit dieser Woche im Rathaus des Berliner Stadtteils Lichtenberg gezeigt wird.
Sie belegt: Der Antifaschismus in der DDR war ein von der SED befohlener. Und die ostdeutsche Variante der Verdrängung nazistischer Umtriebe und Gedanken ist sicherlich einer der Gründe dafür, dass in den neuen Bundesländern rechtsextreme Einstellungen und Gewalt erschreckend weitverbreitet sind. Teilweise werden die Exzesse von der Gesellschaft zumindest toleriert. Zuweilen zeigen brave Bürger sogar unverhohlen Sympathie. Aber der öffentlich bekundete Hass auf alles Jüdische ist nur eine Variante des Antisemitismus. Die andere kommt von links, hat Schnittmengen zu rechts und trägt zwei Namen: Anti-Israelismus und Antizionismus. Auch davon war die DDR nicht frei, im Gegenteil. Und dieses unheilvolle Erbe haben Teile der PDS, der ostdeutschen (aber auch der westdeutschen) Linken und ihr weiteres Umfeld verinnerlicht. Wie unter Honecker wird dort gern gegen den jüdischen Staat gewettert. "Man darf doch auch mal Israel kritisieren", heißt es dann stets.
Klar darf man. Aber bitte nicht, indem man mal eben das Existenzrecht Israels infrage stellt. Oder Israels Vorgehen in den Palästinensergebieten mit dem Vernichtungsfeldzug der Wehrmacht vergleicht. Oder den Libanonkrieg mit der "Endlösung" der Nazis gleichsetzt. Da wird das Antijüdische unter dem roten Mäntelchen sichtbar. Mehr noch. Das rote Mäntelchen bekommt braune Flecken. Denn in der Verdammung Israels ähneln sich Linke und Rechte weit mehr, als sie es sich eingestehen wollen. Vielleicht ist deshalb für einige der Weg von ganz links nach ganz rechts gar nicht weit. Und nur mal so zur Erinnerung: Auf der Todesliste der RAF standen Namen prominenter Juden ganz weit oben. Aber den Irrglauben von Geschichtsverklärern wie Theatermann Claus Peymann wird das nicht erschüttern.

Eine Trauerrede

Günther Oettinger ist ein Überzeugungstäter. Das hat er selbst gesagt: „Meine Rede war öffentlich, ernst gemeint, und die bleibt so stehen“, schleuderte Baden-Württembergs Landesvater vor gerade mal einer Woche seinen zahlreichen Kritikern entgegen. Der Zentralrat der Juden, SPD, Grüne und FDP warfen dem CDU-Politiker zu Recht vor, er habe mit seiner Grabrede auf Hans Filbinger Geschichtsklitterung betrieben. Er bedauere es, wenn er missverstanden worden sei, schrieb Oettinger dann am Samstag in einem offenen Brief. Zuvor hatte ihn sogar Angela Merkel öffentlich abgewatscht. Am Montag schob der Jurist eine Entschuldigung nach – in der er Filbinger wieder in Schutz nahm. Ein paar Stunden später erklärte er: „Ich halte meine Formulierung nicht aufrecht.“
Alles nur ein blödes Missverständnis? Bestimmt nicht! Oettingers Worte der Würdigung am Sarg von Filbinger waren eindeutig formuliert: „Anders, als in einigen Nachrufen zu lesen, gilt es festzuhalten: Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil. Er war ein Gegner des NS-Regimes.“ So schnell wird aus einem überzeugten Marinerichter ein armer Verfolgter, ein Leidtragender, der „schicksalhaft in eine Situation hineingeraten“ sei. Das ist nichts anderes, als ein Rehabilitierungsversuch der unverschämten Art für einen, der Öl im Getriebe des Dritten Reiches war. Und ein Schlag ins Gesicht der NS-Opfer.
Das kommt zwar bei Rechtsauslegern in der Süd-West-Union und bei der NPD an – aber ein solches Umbiegen der Vergangenheit ist schlicht ein Skandal. Oettinger wusste, was er tat. Es gab warnende Stimmen in seiner Staatskanzlei – der Regierungschef hat sie ignoriert. Stattdessen fantasierte er etwas von einer rot-grünen Kampagne gegen ihn. Und der CDU-Mann Georg Brunnhuber wirft dem Zentralrat vor, mit seiner Kritik den Rechten in die Hände zu spielen. So einfach ist das: Die Juden sind schuld.
Vieles erinnert an Filbinger. Der war stets mit sich und seiner Vergangenheit im Reinen, sprach von einer Hetzjagd gegen ihn. Doch Sturheit kommt vor dem Fall. 1978 musste der Uneinsichtige zurücktreten. Und Oettinger? Der wird wohl bleiben.